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Verwirkung des Räumungstitels

Um die Zwangsräumung einer Wohnung durch den Gerichtsvollzieher durchführen lassen zu können, wird zunächst ein vollstreckbarer Räumungstitel benötigt. Falls der Vollstreckungsauftrag nicht zeitnah nach Erhalt des Räumungsurteils ausgelöst und so der Räumungsanspruch durchgesetzt wird, sondern möglicherweise über längere Zeit abgewartet wird, kann der Anspruch auch verwirken mit der Folge, dass eine Zwangsvollstreckung aus dem Räumungsurteil auf Dauer nicht mehr zulässig ist.

In der Praxis stellt sich diese Problematik häufig, wenn eine Ratenzahlungsvereinbarung abgeschlossen wird. Geraten die Mieter dann nach längerer Zeit erneut in Zahlungsverzug, sei es mit den Raten oder auch mit neuen Rückständen hinsichtlich der laufenden Nutzung der Wohnung, kommt das Institut der Verwirkung u. U. zur Anwendung. Gesetzlich sind die Voraussetzungen hierfür nicht geregelt. Verwirkung liegt vor, wenn sowohl ein Zeitmoment als auch ein Umstandsmoment dem Schuldner suggerieren, der Gläubiger werde von dem Titel keinen Gebrauch mehr machen.

Im Urteil des AG München vom 02.03.2017 zu Az. 424 C 26626/16 hatte der Gläubiger 13 Jahre lang aus dem Urteil nicht vollstreckt und im Laufe dieser Zeit dem Mieter gegenüber in Schreiben von „Mieterkonten“ und „Sollmieten“ gesprochen, statt den juristisch zutreffenden Begriff der Nutzungsentschädigung zu verwenden.

An dieser Stelle sei nochmals die Systematik dargestellt:

 

Während der Dauer des Mietvertrages besteht der Anspruch des Mieters auf Zahlung der laufenden Miete, § 535 BGB. Ab Beendigung des Mietvertrages bis zur Besitzaufgabe durch den Mieter besteht nicht mehr der Anspruch auf Mietzahlung, sondern auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung, § 546a BGB. Dieser beläuft sich auf die Höhe der zuletzt geschuldeten Miete bzw. der ortsüblichen Vergleichsmiete, falls diese höher als die vertraglich vereinbarte ist. Ab dem Zeitpunkt der Besitzaufgabe kann ggfs. ein Schadenersatzanspruch des Vermieters wegen entgangener anderweitiger Mieteinnahmen bestehen, insbesondere wenn die Wohnung nicht in ordnungsgemäßem Zustand zurückgegeben worden ist. Beim Schadenersatzanspruch muss der Schaden jedoch ursächlich auf die Pflichtverletzung der nicht ordnungsgemäßen Wohnungsrückgabe zurückzuführen sein. D. h. es ist notwendig nachzuweisen, dass in dieser Zeit tatsächlich ein anderweitiger Mietinteressent zur Verfügung gestanden hätte, der lediglich aufgrund dieses Umstandes hiervon Abstand genommen hat.

Die Verwendung der richtigen Begrifflichkeiten nicht nur in Mahnschreiben, sondern auch in Betriebskostenabrechnungen nach Beendigung des Mietvertrages ist, wie die oben zitierte Entscheidung des AG München zeigt, elementar. Dieses schloss nämlich aus dem Umstand der Fehlbezeichnung auf das Vorliegen des Umstandsmoments. Aus dem Umstand der Bezeichnung als Miete habe der Räumungsschuldner entnehmen können, dass der Vermieter keine Räumung mehr aus dem Titel verlangen werde. Hinzu kam das Zeitmoment der 13-jährigen Nichtvollstreckung.

Im Beschluss des AG Recklinghausen vom 22.10.2018 zu Az. 21 M 2795/18 vertrat das Gericht die Ansicht, dass aus einem Räumungsurteil vom Juli 2015 keine Vollstreckung mehr betrieben werden könne, wenn seither viermal ein Räumungsantrag beim zuständigen Gerichtsvollzieher eingereicht, jedoch jeweils vor Durchführung des Auftrages wieder zurückgezogen worden ist, weil die jeweils zugrunde liegenden neuen Zahlungsrückstände inzwischen ausgeglichen worden sind. Die Einreichung des fünften Vollstreckungsauftrages aus demselben Räumungstitel nahm der Gerichtsvollzieher zum Anlass, den Auftrag abzulehnen. In der Beschwerde hierüber vertrat das Amtsgericht die Auffassung, aufgrund der wiederholten Beantragung und Rücknahme sei davon auszugehen, dass die Gläubigerin gar kein Interesse an der Räumung der Wohnung habe, sondern lediglich an der Erzwingung der laufenden Zahlung.

Nach Ansicht des LG Hamburg im Beschluss zu Az. 531 C 310/12 vom 14.01.2013 wird die Erfüllung des Zeitmoments für die Verwirkung in der Regel erst nach einem Ablauf von 5 Jahren angenommen. Jedenfalls wenn der Vermieter den Räumungsschuldner darauf hinweist, dass trotz zweijähriger Nichtvollstreckung dennoch kein neues Mietverhältnis begründet werde, fehle es auch am Umstandsmoment, so ebenso im Urteil des LG Berlin vom 18.03.2013 zu Az. 67 S 498/12.

Nach anderer Ansicht wird auf die Zweijahresfrist im Sinne des § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 3 BGB abgestellt. Nach dieser Vorschrift kann durch Nachzahlung der Mietrückstände auch eine zweite fristlose Kündigung geheilt werden, wenn die erste fristlose Kündigung länger als zwei Jahre zurückliegt, vgl. AG Hamburg, Urteil vom 08.07.2008 zu Az. 48 C 421/07. Der Zweijahreszeitraum könne jedoch nicht statisch ab Erlangung des Titels berücksichtigt werden, vielmehr komme es auch auf spätere Umstände an, Meyer-Abich NZM 2016, 329.

Fazit:

Nach Erhalt eines Räumungstitels sollte zeitnah die Vollstreckung eingeleitet werden. Falls dies nicht der Fall ist, sollte in jedem Fall bei jeglichen Anschreiben an den Mieter die korrekte Forderungsbezeichnung (Nutzungsentschädigung statt Miete) gewählt werden. Zugleich sollte erklärt werden, dass auf dem Räumungsanspruch bestanden wird und ggfs. lediglich eine längere Räumungsfrist eingeräumt werde, dies jedoch ohne Anerkennung eines Rechtsgrundes. Für den Fall des Abschlusses einer Ratenzahlungsvereinbarung nach Erlangung des Titels empfehlen wir eine einzelfallbezogene Prüfung und Formulierung zur Reduzierung der Risiken hinsichtlich des Verwirkungstatbestandes.

Noreen Walther

Rechtsanwältin

Kanzleiforum 06/2019
Rechtsanwälte Strunz ♦ Alter, Chemnitz