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Guthaben in der Insolvenz des Mieters

Aufgrund der Aktualität von vermieterseitigen Aufrechnungsanfragen in bestehenden und beendeten Mietverhältnissen von insolventen Mietern möchten wir die entsprechende Struktur der Möglichkeiten nachstehend für Sie grob skizzieren und wie folgt erläutern.

 

Allgemeines

Wurde über das Vermögen des Mieters das Insolvenzverfahren eröffnet, entsteht mit dem Datum des gerichtlichen Eröffnungsbeschlusses hierfür eine Beschlagnahmewirkung, die die Vermögenswerte des Schuldners grundsätzlich der Insolvenzmasse zuschlägt (§§ 35 Abs. 1, 80 Abs. 1, 148 Abs. 1 InsO). Dies bedeutet, dass zu diesem Zeitpunkt eine zeitliche Zäsur erfolgt und der bestellte Insolvenzverwalter in alle Rechte und Pflichten des Mietverhältnisses eintritt.

Will dieser möglicherweise künftig rückständige Mieten nicht aus der Insolvenzmasse zahlen, muss er die Wohnung gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO gegenüber dem Vermieter im Rahmen der sog. Enthaftungserklärung „freigeben“. Ab diesem Zeitpunkt ist der Mieter nach Ablauf der 3-monatigen Kündigungsfrist (Wirksamwerden der Enthaftungserklärung) wieder verfügungsbefugt hinsichtlich der Rückzahlung seiner Mietkaution und der Betriebskostenguthaben (eine anteilige Berechnung nach Monaten ist hier üblich), BGH, Urteil vom 16.3.2017 – Az. IX ZB 45/15; Urteil vom 22.05.2014 –Az. IX ZR 136/13).

Wurde das Insolvenzverfahren beispielsweise am 01.04.2020 eröffnet und gibt der Insolvenzverwalter die Freigabeerklärung am 20.04.2020 gegenüber dem Vermieter ab (Posteingang), steht die komplette Mietkaution ab dem 01.08.2020 wieder dem Mieter bzw. bei Mietschulden dann verrechnungsweise dem Vermieter zu, ohne dass die Insolvenzmasse hieran noch partizipieren kann. Für die Betriebskostenabrechnung (Zeitraum 01.01.2020 – 31.12.2020) steht der Insolvenzmasse ein anteiliges Guthaben für die Monate Januar bis Juli 2020 zu, für die Folgemonate August bis Dezember 2020 dann anteilig wieder dem Mieter. Wird das Mietverhältnis aber bis zum 31.07.2020 gekündigt, steht ein Guthaben aus der Mietkaution und aus anteiliger Betriebskostenabrechnung dann aber dem Insolvenzverwalter zu, wobei auch hier Aufrechnungsmöglichkeiten des Vermieters möglich sind.

 

Verrechnung

Besondere Sorgfalt gilt in den Fällen, in denen der Vermieter eigene Forderungen gegen den Mieter hat, hierbei sind die jeweiligen Aufrechnungslagen im Einzelfall zu beachten. Grundsätzlich und stark vereinfacht gilt dann Folgendes:

Bestehen eigene Forderungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, dann sind diese mit dem Kautionsguthaben komplett oder mit Betriebskostenguthaben aus der Zeit vor Eröffnung auch verrechenbar (z. B. mit denen aus der späteren Insolvenztabelle). Bestehen eigene Forderungen aus der Zeit nach der Enthaftungserklärung zzgl. Kündigungsfrist (Freigabe), dann ist das Betriebskostenguthaben, was dem Insolvenzverwalter noch anteilig ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens zusteht, nicht verrechenbar (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO), sofern der Abrechnungszeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegt. Die Kaution kann demgegenüber für diese Zeitschiene aber weiterhin komplett verrechnet werden. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass jeder Sachverhalt separat und einzeln geprüft und behandelt werden sollte, mithin kein genereller Automatismus vorliegen sollte.

 

Leistungsbezug

Mit Blick auf die Vorschrift § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II sowie den hierzu einschlägig ergangenen Entscheidungen des BGH (Urteil vom 20.06.2013 – IX ZR 310/12; Urt. v. 22.05.2014 – IX ZR 136/13) und des BSG (Urteil vom 16.10.2012 – B 14 AS 18/11 R), sind Betriebskostenguthaben bei Leistungsempfängern (z. B. ALG-II) unpfändbar und daher trotz Mietschulden und Insolvenzeröffnung an den Mieter auszukehren und nicht verrechenbar. Dies wird damit begründet, dass die Betriebskostenvorauszahlungen, aus denen sich das Betriebskostenguthaben letztlich speist, durch öffentliche Mittel aufgebracht wird. Deren prinzipielle Unpfändbarkeit führt dann dazu, dass auch die Aufrechnung beim Vermieter mit eigenen Forderungen unzulässig ist. Argument der Gerichte hierfür ist, dass dem Schuldner einerseits ein Existenzminimum belassen werden muss und die zuständige Leistungsbehörde (ARGE, Jobcenter etc.) das Guthaben gleichwohl im Folgemonat beim Schuldner für den Leistungsbezug kürzt. Der Mieter fällt daher durch Abzug bei seinen Leistungen unter das Existenzminimum.

 

Aufhebung Insolvenzverfahren

Besondere Vorsicht ist als Gläubiger geboten, wenn derartige Guthaben bei oder nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstehen und sich der Mieter in der sog. Wohlverhaltensphase befindet. Dann kann dem Insolvenzschuldner 6 Jahre nach Eröffnung üblicherweise die Restschuldbefreiung erteilt werden, sofern die einschlägigen Voraussetzungen vorliegen. Zumeist ist das Insolvenzverfahren bei Verbrauchern vorher beendet und der Schuldner darf dann Vermögenswerte wieder weitgehend selbst vereinnahmen. Es wird daher dringend empfohlen, den Aufhebungsbeschluss des zuständigen Insolvenzgerichts einzusehen, ob in diesem die Aufrechterhaltung des Insolvenzbeschlages für etwaige Guthaben (z. B. aus Betriebskostenabrechnung, Mietkaution oder Auseinandersetzung) angeordnet ist. In diesem Falle darf das Guthaben trotz Beendigung des Insolvenzverfahrens zwingend nicht an den Schuldner / Mieter ausgezahlt werden, sondern an den Insolvenzverwalter (dann Treuhänder genannt). Dieser führt dann eine sog. Nachtragsverteilung mit diesem Wert durch. Sofern der Aufhebungsbeschluss diesbezüglich keine Anordnung trifft, kann das Guthaben an den Mieter ausbezahlt oder mit Neuverbindlichkeiten verrechnet werden. Aufgrund einer Leitentscheidung des BGH (Beschluss vom 26.01.2012 – IX ZB 111/10) kann der Treuhänder aber auch bei solcherlei nachträglich ermittelten Vermögenswerten nach Verfahrensaufhebung die Beschlagnahme beim Insolvenzgericht beantragen, so dass nach gerichtlichem Beschluss wiederum an den Treuhänder auszukehren wäre (Beschluss zur Nachtragsverteilung nach Verfahrensaufhebung). Daher sollte sich der Vermieter in jedem Falle vor der Auszahlung bei dem Schuldner zweifelsfrei erkundigen, ob der Aufhebungsbeschluss den Insolvenzbeschlag für Betriebskostenguthaben anordnet oder der Treuhänder bereits die nach Verfahrensaufhebung zulässige erneute Beschlagnahme beantragt hat. Sollte dies nicht der Fall sein, muss sich anschließend der Schuldner / Mieter mit dem Treuhänder auseinandersetzen und der Vermieter wäre mangels Insolvenzbeschlag schadlos gehalten. Sofern bei bestehender Beschlagnahme Guthaben „versehentlich“ oder in Unkenntnis der Sachlage an den Schuldner überwiesen werden, stellt dies eine Leistung ohne Schuldbefreiung dar und kann vom Treuhänder nochmals angefordert werden, was eine doppelte Zahlung des Vermieters bedeuten würde.

 

Mietermehrheit

Sofern das Mietverhältnis mit zwei Mietern besteht, ist ebenfalls eine genaue Prüfung der Sach- und Rechtslage erforderlich. Bei Beendigung des Mietverhältnisses steht den Mietern grundsätzlich ein vertraglicher Anspruch auf Rückzahlung der hinterlegten Mietkaution zu, §§ 535 ff., 551 BGB, wobei der Vermieter mit eigenen Ansprüchen aufrechnen kann. Fällig wird dieser Anspruch bekanntlich erst nach einer Überlegungs- und Abrechnungsfrist des Vermieters, die in der Regel 3 bis 6 Monate ab Wohnungsrückgabe beträgt bzw. abläuft, wenn alle Ansprüche geklärt sind. Sind 2 Mieter vorhanden, können diese den Rückzahlungsanspruch grundsätzlich nur gemeinsam geltend machen, §§ 432, 705 ff. BGB, da diese gemeinsamen Mitmieter als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gelten (OLG München, Urt. v. 14.01.1994 – 21 U 4806/93). Im Rechtsstreit um die Rückzahlung können daher nur alle Mieter gemeinsam die Rückzahlung an alle Mieter gemeinsam einfordern. Sofern sich nun einer der Mieter in einem Insolvenzverfahren befindet, hat der eigentlich legitimierte Insolvenzverwalter keine eigene Ermächtigung zur Einforderung des Guthabens. Auch die hälftige Auszahlung an den einen Mieter und den Insolvenzverwalter ist unzulässig. Der Insolvenzverwalter kann den Rückzahlungsanspruch nur mit dem weiteren, solventen Mieter gemeinsam geltend machen und sich anschließend über die Aufteilung des Kautionsbetrages mit diesem selbst auseinandersetzen. Übertragen werden kann dieser Grundsatz grundsätzlich auch auf die Auskehr von Guthaben aus Betriebskostenabrechnung und die Rückzahlung von Auseinandersetzungsguthaben bei Genossenschaften (wenn diesbezüglich auch eingeschränkt). Für die Praxis ist dies dahingehend bedeutsam, dass bei mehreren Mietern, bei denen ein Mieter insolvent ist, die Auszahlung der Guthaben grundsätzlich schuldbefreiend nur an die Insolvenzmasse oder den anderen Mieter erfolgen sollte, wenn der Zahlungsempfänger eine ausdrückliche Ermächtigung des jeweils anderen zum Empfang des Geldes vorlegt. Daher müssen sich erst Mieter und Insolvenzverwalter über die gemeinsame Geltendmachung einig sein, was unter zeitlicher Betrachtung auch zur Verjährung des Rückzahlungsanspruches gegen den Vermieter führen kann. Die in den Mietverträgen oftmals verklausulierten Regelungen der gegenseitigen Empfangsermächtigung sind mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eines Mieters per Gesetz nicht mehr wirksam, § 115 Abs. 1 InsO.

 

Exkurs: Genossenschaftsanteile

Sofern der Insolvenzverwalter die Genossenschaftsanteile kündigt, stellt sich die Annexfrage, wer dann das hieraus im Folgejahr resultierende Auseinandersetzungsguthaben erhalten darf. Mit Urteilen z. B. vom 29.06.2004 (Az. IX ZR 147/03), 19.03.2009 (Az. IX ZR 58/08 und 26.04.2018 (Az. IX ZR 56/17) bestätigte der BGH mehrfach das Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters grundsätzlich und separierte das Auseinandersetzungsguthaben ohne Aufrechnungsmöglichkeiten mit zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen zugunsten der Insolvenzmasse. Da die Genossenschaft im Falle von Mietschulden den Vermögenswert aber gern zur Tilgung verrechnungsweise verwenden möchte, muss im Falle von Kündigung des Nutzungsverhältnisses (und Zwangsräumung) daher äußerst zügig reagiert werden. Nur im Falle der Eigenkündigung des Nutzers vor Verfahrenseröffnung oder einem Ausschluss des Mitglieds durch Vorstandsbeschluss kann noch eine wirksame Aufrechnung mit eigenen Forderungen der Genossenschaft erfolgen, sofern das Mitglied / der Schuldner anschließend die Insolvenzeröffnung beantragt. Solange das satzungsmäßige Pfandrecht der Genossenschaft am Auseinandersetzungsguthaben bzw. die Beendigung der Mitgliedschaft noch von Rechtshandlungen, d. h. ohne Automatismus, der Parteien abhängig ist, kann nach Auffassung des BGH kein insolvenzfestes Pfandrecht am Auseinandersetzungsguthaben begründet werden (BGH, Urteil v. 08.01.2009 – IX ZR 217/07).

 

Diese Betrachtungen sind aufgrund der Komplexität der Materie sowie der Vielzahl an denkbaren Konstellationen denknotwendig nicht abschließend, sondern sollen vielmehr helfen, den Blick auf die Problematik zu schärfen.

 

 

Sebastian Tempel

Rechtsanwalt