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Entscheidungskompetenzen des Verwalters im Wohnungseigentum

Seit dem 01.12.2020 ist der Verwalter kraft Gesetzes gegenüber der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer berechtigt und verpflichtet, die Maßnahmen ordnungsmäßiger Verwaltung zu treffen, die

  1. untergeordnete Bedeutung haben und nicht zu erheblichen Verpflichtungen führen oder
  2. zur Wahrung einer Frist oder zur Abwendung eines Nachteils erforderlich sind, § 27 Abs. 1 WEG.

Wann eine Maßnahme nur von untergeordneter Bedeutung ist, ergibt sich aber aus dem Gesetz nicht und bedarf der Abwägung aller Umstände im Einzelfall, insb. auch der Größe der Gemeinschaft und ihrer Finanzkraft. Der Verwalter muss also von Gesetzes wegen in jedem Fall neu prüfen, ob er ohne Beschluss handeln darf. Überschreitet er die eingeräumte Kompetenz, drohen Regressforderungen der Gemeinschaft.

Weitaus schwieriger ist aber der Nichtgebrauch der gesetzlich eingeräumten Kompetenz. Einhellig wird nämlich derzeit angenommen, dass der Verwalter nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, ohne Beschluss unverzüglich zu handeln, wenn die Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht und von untergeordneter Bedeutung ist und nicht zu erheblichen Verpflichtungen führt. Auch das Untätigbleiben kann also Schadenersatzansprüche auslösen.

Nun steht es dem Verwalter zwar frei, sicherheitshalber doch eine Weisung per Beschluss im Einzelfall einzuholen. Fallen dadurch aber zusätzliche Versammlungskosten an oder entsteht ein Verzögerungsschaden, wird der Verwalter auch insoweit schadenersatzpflichtig, wenn er hätte erkennen können, dass er ohne Beschluss handeln durfte, vgl. Reh ZWE 2023, 154, 156.

Diese Risiken sind nur vermeidbar, wenn im Voraus ein sog. Vorratsbeschluss gefasst wird, mit dem die Eigentümer näher definieren, welche Maßnahmen in ihrer Gemeinschaft von der Handlungs- und Entscheidungskompetenz des § 27 WEG gedeckt sein sollen und welche der vorherigen Beschlussfassung bedürfen. Gemäß § 27 Absatz 2 WEG können die Eigentümer dabei auch die gesetzlichen Kompetenzen erweitern oder beschränken. Erstaunlich wenige Gemeinschaften haben bislang solche Grundlagenbeschlüsse gefasst. Oft scheinen die Verwalter der Ansicht zu sein, Klauseln in Verwalterverträgen, die Aufgabenkataloge und Kompetenzzuweisungen enthalten, würden hierfür genügen. Davon kann jedoch nicht sicher ausgegangen werden, vgl. dazu MüKoBGB/Skauradszun 2023 § 27 WEG Rn. 32 ff.; BeckOK WEG/Elzer 2023 § 27 Rn. 78 f. a.a. Bärmann/Becker WEG 2023 § 27 Rn. 24. Das Gesetz verlangt einen konkreten Beschluss hierzu und keine formularklauselartige vertragliche Regelung. Deshalb wird in etlichen Veröffentlichungen angenommen, dass diese Klauseln auch nicht ausreichend sind.

Andere Autoren stellen darauf ab, dass über den Verwaltervertrag ja schließlich auch beschlossen werde, indirekt somit auch über die Kompetenzregelung. Das dürfte aber erstens nur gelten, wenn über den Vertrag nach Inkrafttreten der Reform zum 1.12.2020 beschlossen worden ist. Für die Zeit davor war die wohl nicht deckungsgleiche Rechtsprechung zu Kompetenzerweiterungen zugrunde zu legen. Zum Zweiten wird gefordert, dass sich die Eigentümer bewusst sein müssen, dass sie über Kompetenzerweiterungen oder Beschränkungen i. S. v. § 27 Absatz 2 WEG beschließen. Das wird meist problematisch sein, denn die Vertragsentwürfe werden oft nicht gelesen, mitunter wohl durch die Verwalter nicht einmal vorher allen Eigentümern ausgehändigt, sondern nur zur Einsicht bereitgehalten. Klauseln in Verwalterverträgen unterliegen zudem einem zeitlich unbegrenzten und auf Formularklauselrecht (§§ 305 ff. BGB) erweiterten gerichtlichen Prüfungsvorbehalt, während ein Einzelkatalogbeschluss speziell zu § 27 Absatz 2 WEG nach einem Monat in Bestandskraft erwächst

  • Deshalb ist dringend jedem Verwalter anzuraten, einen solchen Katalog zu entwerfen, mit dem Beirat vorzuberaten und der Gemeinschaft zur Beschlussfassung – ggf. nach Änderungen – anzubieten.

 

Ohne klare Regelung pro Gemeinschaft muss der Verwalter also im Einzelfall prüfen, ob er einen Beschluss für eine Maßnahme benötigt. Ist das nicht der Fall, ist er zugleich handlungspflichtig.

In der Regel gelten derzeit als Maßnahmen von untergeordneter Bedeutung: 

  • die Maßnahmen i. S. d. § 27 Abs. 1 Nr. 2, 4, 5 und 6 WEG a. F.; vgl. Schultzky ZWE 2021, 62; Gesetzesbegründung BT-Drs. 19/18791, 73;
  • Hausgeldklage einschließlich ggf. notwendiger Anwaltsmandatierung und Zwangsvollstreckung, Schultzky a.a.O. unter Verweis auf die Gesetzesbegründung BT-Drs. 19/18791, 75
  • Abschluss einer Streitwertvereinbarung mit einem Anwalt – jedenfalls bis zur Streitwertgrenze von 000 €, vgl. Bruns NZM 2022, 153;
  • Vergabe von Winterdienst und Hausreinigung, Schultzky a.a.O.; Dötsch/Schultzky/Zschieschack Kap 9 Rn. 118;
  • Anschaffung von Verbrauchsgegenständen, Abramenko ZWE 2023, 105; BT-Drs. 19/18791, 73;
  • Anmeldung einer Forderung im laufenden Insolvenz-, Zwangsverwaltungs- oder Versteigerungsverfahren;
  • Durchsetzung der Hausordnung durch Sachverhaltsermittlung und Ermahnungen von Störern;
  • außergerichtliche Mahnung von Hausgeldern;
  • Entgegennahme und Überweisung von Geldern;
  • Erhaltung des Verbandsvermögens (Reparatur des Rasenmähers), Abramenko a.a.O.;
  • Vermietung eines Stellplatzes, Abramenko a.a.O. – m. E. abzulehnen;
  • Erhaltungsmaßnahmen bei grundsätzlich sehr gepflegter Anlage, Abramenko a.a.O.
  • Entscheidung über Miete, Kauf und Wartung von Rauchmeldern, so Bruns a.a.O. – m. E. abzulehnen;
  • Einholung von Grundbuchauszügen, Eigentümerlisten beim Grundbuchamt

 

Nicht mehr von untergeordneter Bedeutung sollen sein und demnach einer Beschlussfassung bedürfen:

  • Stundung von Hausgeldansprüchen durch Ratenzahlungsvereinbarung (im Fall Raten á 100 € für Forderung von 1000 €), so AG Gelsenkirchen 23.05.2023, Az. 427 C 231/22; a. A. aber zu Recht Bruns a.a.O., Lehmann-Richter / Wobst Rn. 482;
  • Abschluss einer zeitbezogenen Honorarvereinbarung mit einem Rechtsanwalt (Stundensatz), so LG Karlsruhe 04.09.2023, Az. 11 S 68/22;
  • Abwehr von Störungen des Gemeinschaftseigentums im Klageweg, Suilmann WuM 2023, 119 (121);
  • Erhebung einer Zahlungsklage für hohe anteilige Sonderumlage, BGH 16.09.2022, Az. V ZR 180/21;
  • Kreditaufnahme, Schultzky a.a.O.;
  • bauliche Veränderungen einschl. modernisierender Instandsetzung, das umfasst bspw. auch das Umgestalten durch Fällen eines prägenden Baumes, selbst wenn dieser schadhaft ist, vgl. Abramenko a.a.O.; Bruns a.a.O.;
  • Hausgeldklagen mit sehr hohem Streitwert oder hohem Prozessrisiko;
  • Einleitung von Zwangsversteigerungs- oder Insolvenzverfahren;
  • Aufstellen einer Hausordnung, die ohne genehmigenden Beschluss gelten soll, vgl. Bruns a.a.O.;
  • Benutzungsregelungen mit Nachbarn;
  • Verträge mit einer Laufzeit von mehr als 2 Jahren, diese verstoßen aber i. d. R. ohnehin gegen § 309 Nr. 9a BGB; vgl. Bruns a.a.O.;
  • Kosten von 10.000 € für die Beauftragung eines Planungsbüros wegen Errichtung der Ladeinfrakstruktur, so LG Dessau-Roßlau 8.12.2022, 5 S 91/22

Bei der Abwägung in Zweifelsfällen sollte auch berücksichtigt werden, in welchem Verhältnis der Aufwand für die zusätzliche Eigentümerversammlung, d. h. Kosten und Anreiseaufwand, und zu beschließender Maßnahme stehen, Abramenko a.a.O.

Im Falle von streitwertabhängigen Verwalterermächtigungen ist eine Höchstgrenze für eine Mehrzahl von Einzelvorgängen pro Wirtschaftsjahr zu beschließen, so schon die bisherige Rechtsprechung.

Die zweite Voraussetzung, dass die Maßnahme nicht zu erheblichen Verpflichtungen führen darf, wird zumeist anhand der Wirtschaftskraft der Gemeinschaft, speziell anhand eines Prozentsatzes vom durchschnittlichen Wirtschaftsplanvolumen der letzten 3 Jahre bemessen, wobei die Grenze zwischen 2 und 10 % – in der Mehrzahl der Ansichten zwischen 3 und 5 % – liegen soll, vgl. Lehmann-Richter/Wobst Rn. 477; Schultzky a.a.O.; Dötsch/Schultzky/Zschieschack Kap. 9 Rn. 99. Erwogen wird auch eine betragsmäßige Begrenzung zwischen 200 und 1000 € pro Eigentümer und Jahr. Maßgebend ist die Sichtweise eines durchschnittlichen Wohnungseigentümers, vgl. BT-Drs. 19/22634, 46.

Zur Einordnung werden weiter als Kriterien benannt: die Größe der Anlage (je mehr Eigentümer, desto höher der Versammlungsaufwand, je kleiner, desto höher das Interesse an eigener Entscheidung), die Diskussionsfreude der Eigentümer, die bisherige Verwaltungspraxis (bevorzugen die Eigentümer Sparsamkeit oder Gründlichkeit), vgl. Bruns a.a.O.

Die Kompetenzregelung kann dauerhaft für jeden Verwalter und jede Amtsperiode, beschränkt auf eine bestimmte Verwalterpersönlichkeit des Vertrauens, oder befristet beschlossen werden. Auch die Vorbefassung des Beirates anstelle eines Beschlusses kommt in Betracht, vgl. Skauradszun a.a.O. Rn. 35.

Verwalter sollten bedenken, dass ihre Aufgaben und ihr Haftungsrisiko aufgrund eines kompetenzerweiternden Beschlusses gemäß § 27 Absatz 2 WEG evtl. erweitert werden könnten und für diesen Fall ein Sonderkündigungsrecht oder eine Zusatzvergütung im Verwaltervertrag vorsehen.

Zudem entbindet die Entscheidungskompetenz den Verwalter nicht von den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung. Wenn er anstelle der Eigentümer ohne Beschluss selbst über eine Auftragsvergabe entscheiden soll, hat er in der Regel also dennoch zuvor, 3 Angebote einzuholen und auf fundierter Tatsachengrundlage eine Ermessensauswahl zu treffen, vgl. Abramenko a.a.O.; Bruns a.a.O. (jedenfalls ab 3000 € Auftragswert m. w. N.). 

Wichtig ist aber, zwischen Innen- und Außenverhältnis zu trennen. § 27 WEG regelt, ob der Verwalter im Innenverhältnis handeln darf oder zuvor einen Beschluss benötigt. Handelt er ohne erforderlichen Beschluss, macht er sich schadenersatzpflichtig. Ob sein Handeln in Vertretung der Gemeinschaft dem außen stehenden Vertragspartner der Gemeinschaft gegenüber wirksam ist, beurteilt sich dagegen allein anhand § 9b WEG. Demnach hat der Verwalter als Organ der Gemeinschaft von Gesetzes wegen unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht, soweit es nicht den Abschluss von Darlehens- oder  Grundstückskaufverträgen anbelangt.

 

 

Übrigens gehören die Aufgaben des Verwalters, die aus seiner Organstellung selbst (z. B. Beschlussdurchführung, Eintragung von Beschlüssen in die Beschlusssammlung oder ins Grundbuch, Gewährung der Belegeinsicht) oder anderen gesetzlichen Bestimmungen (z. B. Erstellung der Jahresabrechnung und des Vermögensberichts, § 28 WEG, Einladung und Durchführung von Versammlungen, § 24 WEG) folgen, nicht zum erweiterbaren oder beschränkbaren auslegungsbedürftigen Kompetenzbereich des § 27 WEG. Insoweit ist es also irrelevant, ob es sich um Maßnahmen untergeordneter Bedeutung oder von finanziell erheblichen Auswirkungen handelt.

 

Noreen Walther
Rechtsanwältin