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Ein Überblick über die Rechtslage beim Grenzüberbau

Nicht selten wird bei der Neuvermessung eines Grundstücks festgestellt, dass der Nachbar über die Grundstücksgrenze gebaut hat. In diesem Fall stellt sich häufig die Frage nach der Rechtslage:

 

  1. Zentrale Vorschriften im BGB

Regelungen bei Überbauten finden sich in den §§ 912 – 916 BGB. Die zentrale Vorschrift ist § 912 BGB, die dem Eigentümer des überbauten Grundstücks eine Duldungspflicht auferlegt, sofern der Nachbar bei der Errichtung eines Gebäudes über die Grenze gebaut hat, ohne dass ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt und der Eigentümer des überbauten Grundstücks dagegen nicht sofort Widerspruch erhoben hat. Neben dem Duldungsanspruch hat der Überbauer ein Recht zum Besitz am überbauten Grundstücksteil. Im Falle einer Duldungspflicht scheidet ein Beseitigungs- und Herausgabeanspruch gegen den überbauenden Nachbarn gemäß §§ 1004 Abs. 2, 912 Abs. 1 BGB aus. Der Überbau steht entgegen §§ 94, 946 BGB im Eigentum des überbauenden Grundstückseigentümers (Palandt/Herrler, 77. Auflage, § 912, Rn. 1).

Die Vorschriften über den Überbau sind nach dem Wortlaut von § 912 Abs. 1 BGB jedoch nur bei Errichtung eines die Grundstücksgrenze überschreitenden Gebäudes anwendbar. Ein Gebäude ist ein Bauwerk, welches durch räumliche Umfriedung gegen äußere Einflüsse Schutz gewährt und den Eintritt von Menschen gestattet (Palandt/Herrler, 77. Auflage, § 912, Rn. 4). Nach der Rechtsprechung sollen dem Normzweck (Werterhaltung) entsprechend jedoch auch größere Bauwerke, wie bspw. eine Ufermauer (BGH NJW 15, 2489), von den Regelungen der §§ 912 ff. BGB umfasst sein. Demgegenüber sollen leicht versetzbare Gebäude vom Anwendungsbereich der §§ 912 ff. BGB ausgeschlossen sein (Palandt/Herrler, 77. Auflage, § 912, Rn. 4). Keine Gebäude sind bspw. Zäune oder ein offener Carport.

Darüber hinaus muss der Überbau durch den Eigentümer des Grundstücks errichtet worden sein, von dem die Überbauung ausgeht. Wurde der Überbau stattdessen durch einen Dritten errichtet, so gelten die §§ 912 ff. BGB nur, wenn der jetzige Grundstückseigentümer der Überbauung vorher zustimmt bzw. diese nachträglich genehmigt (Palandt/Herrler, 77. Auflage, § 912, Rn. 5). Die Anwendbarkeit der §§ 912 ff. BGB setzt ferner voraus, dass der Überbau rechtswidrig ist, also keine Zustimmung des Eigentümers des überbauten Grundstücks vorliegt.

Um den Eigentümer des überbauten Grundstücks nicht unzumutbar zu benachteiligen, ist er nur dann zur Duldung nach § 912 Abs. 1 BGB verpflichtet, wenn ein entschuldigter Überbau vorliegt. Dies ist der Fall, wenn der überbauende Nachbar bei der Grenzüberschreitung nicht grob fahrlässig oder gar vorsätzlich gehandelt hat. Nach der Rechtsprechung ist bei einer offenkundigen Grenzbebauung stets eine grobe Fahrlässigkeit zu bejahen, wenn der Überbauende den tatsächlichen Grenzverlauf nicht vor Baubeginn ermittelt hat (BGH NJW-RR 09, 24; BGH NJW-RR 16, 1489).

Eine Duldungspflicht scheidet ferner aus, wenn über die bloße Grenzüberschreitung hinausgehende Beeinträchtigungen bspw. durch Verletzung öffentlichen Baurechtes bestehen (BGH NJW-RR 09). Schließlich scheidet eine Duldungspflicht auch dann aus, wenn der Eigentümer des überbauten Grundstücks der Überbauung vor oder sofort nach der Grenzüberschreitung widersprochen hat. Der Widerspruch ist an keine besondere Form gebunden und muss nicht begründet werden.

 

  1. Beseitigungs- und Herausgabeanspruch bei fehlender Duldungspflicht

Liegen die Voraussetzungen für eine Duldungspflicht des Eigentümers des überbauten Grundstücks nach § 912 BGB nicht vor, so hat dieser gegen den Nachbarn grundsätzlich einen Anspruch auf Beseitigung der Überbauung nach
§ 1004 Abs. 1 S. 1 BGB. Daneben kann dem Eigentümer des überbauten Grundstücks ein Schadensersatz- und Nutzungsentschädigungsanspruch gegen den überbauenden Nachbarn zustehen. Der Beseitigungsanspruch wird jedoch durch das Kriterium der Zumutbarkeit beschränkt, sodass er nach § 275 Abs. 2 BGB ausgeschlossen sein kann, wenn zwischen dem Beseitigungsaufwand und dem Leistungsinteresse des Gläubigers ein grobes Missverhältnis besteht (BGH NJW 2004, 1798). Der Beseitigungsanspruch unterliegt zudem der dreijährigen Regelverjährungsfrist, die mit Anspruchsentstehung zum Zeitpunkt der Grenzüberschreitung beginnt. Ein Wechsel des Eigentümers des überbauten Grundstücks verlängert die Verjährungsfrist nicht und führt auch zu keinem Neubeginn (Palandt/Herrler, 77. Auflage, § 1004, Rn. 45; OLG Koblenz MDR 2013, 1394).

Neben dem Beseitigungsanspruch steht dem Eigentümer des überbauten Grundstücks gegen den überbauenden Nachbarn ein Herausgabeanspruch nach § 985 BGB hinsichtlich der überbauten Fläche zu. Dieser Anspruch unterliegt keiner Verjährung, sodass der Eigentümer die Herausgabe der überbauten Fläche verlangen und den Überbau auf seine Kosten beseitigen kann, da er anders als beim entschuldigten Überbau gem. §§ 94 946 BGB Eigentümer des Überbaus ist (MüKoBGB/Brückner, 8. Auflage, § 912 BGB, Rn. 35; BGH NJW 2011, 1069). Das Recht zur Selbstbeseitigung darf jedoch nicht schrankenlos ausgeübt werden, sondern muss das sich aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ergebende Rücksichtnahmegebot beachten (BGH v. 17.01.2014 – V ZR 292/12).

 

  1. Überbaurente und Anspruch auf Abkauf

Um den zur Duldung verpflichteten Grund-stückseigentümer zu entschädigen, hat der überbauende Grundstückseigentümer ihm nach §§ 912 Abs. 2, 913 BGB jährlich eine Geldrente zu zahlen. Die jährliche Rentenpflicht unterliegt der dreijährigen Verjährung. Eine Verjährung zurückliegender Zeiträume lässt den Rentenanspruch für nachfolgende, noch nicht verjährte Zeiträume unberührt (MüKoBGB/Brückner, 8. Auflage, § 913 BGB, Rn. 3). Die Rentenhöhe bemisst sich nach dem Verkehrswert der überbauten Fläche und der durch den Überbau bewirkten Nutzungsbeeinträchtigung zum Zeitpunkt der Grenzüberschreitung, § 912 Abs. 2 S. 2 BGB (BGH NZM 10, 215). Die Rente ist jährlich im Voraus zu entrichten, § 913 Abs. 2 BGB. Der Rentenanspruch erlischt nach § 914 Abs. 1 S. 1 BGB mit der Beseitigung des Überbaus. Das Recht auf die Überbaurente kann nicht ins Grundbuch eingetragen werden. Demgegenüber ist ein Rentenverzicht sowie eine vertragliche Vereinbarung der Rentenhöhe ins Grundbuch des überbauenden Grundstücks einzutragen, § 914 Abs. 2 S. 2 BGB.

Nach § 915 Abs.1 S. 1 BGB hat der Rentenberechtigte gegenüber dem rentenpflichtigen Nachbarn zudem einen Anspruch auf Abkauf der überbauten Fläche zu dem Wert, den die Teilfläche zur Zeit der Grenzüberschreitung gehabt hat.

 

 

Eva-Maria Meichsner

Rechtsanwältin