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Das vereinfachte Umlaufverfahren im WEG – ein zu selten genutztes Geschenk des Gesetzgebers

Beschlüsse in Wohnungseigentümerversammlungen bedürfen – von Ausnahmefällen kraft Vereinbarung nach § 47 WEG abgesehen – stets nur noch der einfachen Stimmenmehrheit (§ 25 Abs. 1 WEG), Beschlüsse im Umlaufverfahren dagegen der Allstimmigkeit (§ 23 Abs. 3 Satz 1 WEG).

Seit 01.12.2020 besteht jedoch die Möglichkeit, Beschlüsse mit einfacher Mehrheit im Umlaufverfahren zu fassen. Dieses Geschenk des Gesetzgebers an die Eigentümer und Verwalter wird bislang jedoch selten genutzt. Was ist zu beachten?

Zunächst einmal bedeutet die Neuregelung keineswegs, dass jedes Umlaufverfahren mit einfacher Stimmenmehrheit durchgeführt werden kann. Auch kann die Gemeinschaft nicht beschließen, dass dem so sein soll, dies wäre nichtig1. Die Eigentümer können jedoch beschließen, „dass für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt.“, § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG. Ob unter einzelnem Gegenstand auch jede Jahresabrechnung verstanden werden kann, ist umstritten2.

Der Gesetzgeber dachte aber an den Fall, dass die Wohnungseigentümer in der Versammlung nicht in der Lage sind, abschließend einen Beschluss über einen bestimmten Gegenstand zu fassen, sondern z. B. noch weitere Informationen eingeholt werden sollen3.

Anwendung finden kann das Instrument daher z. B. in folgenden Fällen:

  • Eine Sanierungsmaßnahme soll beschlossen werden, den Eigentümern genügen die eingeholten Angebote aber noch nicht, es sollen weitere eingeholt werden. Um den Aufwand einer erneuten Versammlung zu vermeiden, wird über die Vergabe mit abgesenkten Stimmrechtsanforde-rungen in einem nachgelagerten Umlaufverfahren entschieden.
  • Der Wirtschaftsplan wird beschlossen. Es ist aber absehbar, dass dieser unterjährig angepasst werden muss, z. B. weil die Information des Gasversorgers, wie sich der Preis entwickeln wird, zum Zeitpunkt der Versammlung noch nicht vorliegt.

 

Wie ist vorzugehen?

Der Tagesordnungspunkt wird wie gewohnt in der Einladung bekannt gegeben und in der Versammlung aufgerufen sowie erörtert. Die Ankündigung, dass erst in einem nachgelagerten Umlaufverfahren abgestimmt wird, muss in der Einladung selbst noch nicht enthalten sein, jedenfalls wenn dies noch gar nicht beabsichtigt ist.

Beschlossen wird dann, dass über diesen Beschlussgegenstand nach der Versammlung in einem Umlaufverfahren beschlossen wird und für diesen Umlaufbeschluss gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG die einfache Stimmenmehrheit genügt. Umstritten ist noch, ob dieser Absenkungsbeschluss selbst anfechtbar ist oder nur der daraufhin im Umlaufverfahren selbst gefasste Beschluss4. Das LG Frankfurt/M. hat sich gegen eine isolierte Anfechtbarkeit ausgesprochen5.

Jedes Umlaufverfahren wird in Text- oder Schriftform einberufen, auch die Stimmabgabe selbst bedarf nur der Textform, § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG, § 126b BGB. In Betracht kommen also auch E-Mail, SMS, Fax, Cloud-Lösungen und natürlich der Postweg. Sinnvoll erscheint es, wenn der Verwalter von jedem Eigentümer eine Kontaktmöglichkeit für eine Übermittlung in Textform erfragt. Diese müssen die Eigentümer aber nicht eröffnen, die Angabe ist und bleibt freiwillig im Sinne von Art. 7 DSGVO.

Dem Anschreiben muss zu entnehmen sein, worüber abgestimmt werden soll, welche für die Abstimmung relevanten Informationen zugrunde liegen und welcher ausformulierte Beschlusstext konkret zur Abstimmung gestellt wird. Ggf. müssen auch Unterlagen, wie die eingeholten Angebote oder die Stellungnahme des Gasversorgers mit übersandt werden, damit sich die Eigentümer eine fundierte Meinung auf Tatsachenkenntnis bilden können.

Sodann sollte der Verwalter mitteilen, bis zu welchem Tag und welcher Uhrzeit Stimmen eingehen müssen, um bei der Auszählung noch Berücksichtigung finden zu können. Da das Umlaufverfahren schon grundsätzlich in formeller Hinsicht nicht näher gesetzlich geregelt ist, können Vorgaben für die Durchführung beschlossen werden, wie die Frist, die der Verwalter für die Abgabe der Stimmen bestimmen soll4. Ohne eine solche Vorgabe muss der Verwalter nach Ermessen handeln. Auf der sicheren Seite agiert er, wenn er die für die Ladung zur Versammlung geltende Frist zugrunde legt, i. d. R. also 3 Wochen Zeit gibt6, um die Stimmen abzugeben. Die dreiwöchige Frist berücksichtigt indessen auch die Anwesenheitsplanung für die Teilnehmer, also die terminliche Koordination, die bei einer schriftlichen Stimmabgabe nicht erforderlich ist, so dass auch eine angemessen kürzere Frist in Betracht kommen kann. Wegen § 149 BGB sollte der Verwalter Eigentümer, deren Stimme verspätet eingegangen ist, unverzüglich darauf hinweisen7.

Ob eine abgegebene Stimme widerrufen werden kann und ggf. bis wann ist umstritten. Nach Ansicht des BGH ist ein Widerruf nur bis zum Zugang beim Initiator möglich8.

Möglich ist sowohl, dass der Verwalter sich an jeden einzelnen Eigentümer direkt wendet und jeder Eigentümer dem Verwalter direkt antwortet – aber auch ein Zirkularverfahren, in welchem alle dasselbe Schriftstück unterzeichnen oder dieselbe Mail untereinander und zum Schluss an den Initiator zurück weiterleiten mit ihrem Zustimmungsvermerk9.

Letztlich bedarf der Umlaufbeschluss wie jeder andere Beschluss zur Wirksamkeit der Verkündung durch den Initiator des Verfahrens, es bedarf der Auszählung, der Feststellung des Abstimmungsergebnisses und der Tatsache des Nicht-/Zustandekommens sowie der an alle Wohnungseigentümer gerichteten Mitteilung des Beschlussergebnisses10. Eine Form für die Mitteilung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Lösungen über digitale Verwalterportale bieten sich erneut an. Theoretisch genügt es aber auch, wenn der Verwalter jeden Eigentümer anruft, anschreibt, faxt, mailt oder evtl. – wenn von einer Wahrnehmung durch jeden Eigentümer und der Wahrung des Datenschutzes auszugehen ist – der Aushang am sog. schwarzen Brett11. Sinnvoll ist erneut, das Verfahren in der Gemeinschaft vorab zu klären.

Sodann ist eine Niederschrift zu fertigen (Protokoll)12 und der Beschluss in die Beschluss-Sammlung aufzunehmen, § 24 Abs. 7 Nr. 2 WEG. 

Nach gegenwärtig umstrittener Rechtsauffassung13 ist das Verfahren zu einem Beschlussgegenstand nicht wiederholbar. Ist also das vereinfachte Umlaufverfahren für die Sanierungsmaßnahme beschlossen und durchgeführt worden und soll nun nochmal eine Änderung, z. B. ein Nachtrag zum Bauauftrag, beschlossen werden, bedarf es dazu einer Eigentümerversammlung. Wenige andere gehen davon aus, dass bei Wahrung des gleichen Beschlussgegenstandes auch wiederholt mit einfacher Stimmenmehrheit schriftlich beschlossen werden kann. Es bleibt spannend, wie sich die Rechtsprechung dazu positionieren wird.

 

 

Noreen Walther
Rechtsanwältin

 

1 – Bärmann/Dötsch, 15. Aufl. 2023, WEG § 23 Rn. 229

2 – nichtig lt.  Bärmann/Dötsch, 15. Aufl. 2023, WEG § 23 Rn. 229, dagegen auch Lehmann-Richter/Wobst WEG-Reform 2020, § 8 Rn. 648; eher offen SEHR WEG-Reform 2020/2021/Riecke § 6 Rn. 7

3 – vgl. Drucksache 19/22634 S. 45

4 – dazu Zschieschack NZM  2022, 863 (868)

5 – 16.2.2023, Az. 2-13 S 79/22, ibr-online IMR 2023, 2211; ebenso AG Hamburg-St.Georg (Abteilung 980b), Urteil vom 02.09.2022 – 980b C 39/21 WEG; a. A. AG Bochum, Urteil vom 14.07.2022 – 94 C 2/22

6 – SEHR WEG-Reform 2020/2021/Riecke § 6 Rn.10; Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 23 Rn. 113; Lehmann-Richter/Wobst WEG-Reform 2020 Rn. 645; BeckOK WEG/Bartholome, 51. Ed. 1.1.2023, WEG § 23 Rn. 91

7 – Bärmann/Dötsch, 15. Aufl. 2023, WEG § 23 Rn. 221 empfiehlt dagegen, mit der Auszählung zu warten.

8 –  BGH, Urt. v. 13. 7. 2012 − V ZR 254/11, ebenso Bärmann/Dötsch, 15. Aufl. 2023, WEG § 23 Rn. 222; Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 23 Rn. 99: nur bis zum Zugang beim Initiator

9 – BT-Drs 18/18791, 36; LG Hamburg, Urt. v. 12.7.2017318 S 31/16

10 -BGH, Beschluß vom 23. 8. 2001 – V ZB 10/01; BGH, Urteil vom 6.7.2018 – V ZR 221/17

11 – BeckOK WEG/Bartholome, 51. Ed. 1.1.2023, WEG § 23 Rn. 107, 108; Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 23 Rn. 118: auch mündlich oder in späterer Versammlung; OLG Düsseldorf ZWE 2020, 71 Rn. 20: anberaumter Verkündungstermin genügt;

12 – Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 23 Rn. 119 unter Verweis auf BR-Drs. 168/20, 82

13 –ausführlich Skauradszun: Absenkungsbeschlüsse und Mehrheitsbeschlüsse im Umlaufverfahren(ZWE 2022, 106); dafür wohl AG Bochum, Urteil vom 14.07.2022 – 94 C 2/22; Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kap. 8 Rn. 27;  dagegen wohl eher BeckOK WEG/Bartholome, 51. Ed. 1.1.2023, WEG § 23 Rn. 104; Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn. 648; MüKoBGB/Hogenschurz WEG § 23 Rn. 61