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Zulässigkeit des Bauträgergeschäfts von städtischen Wohnungsbaugesellschaften

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat am 23.03.2023, Aktenz. 1 S 2793/20, entschieden, dass eine städtische Wohnungsbaugesellschaft ein Bauträgergeschäft betreiben darf, wenn der Tatbestand des § 102 Abs. 1 GemO Baden-Württemberg (BW) nicht erfüllt ist.

 

Sachverhalt

Gegen die Errichtung und den Verkauf von Eigentumswohnungen durch eine städtische Wohnungsbaugesellschaft haben drei private Bauunternehmer vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart geklagt.

Neben ihrem Haupttätigkeitsbereich, der Bewirtschaftung, Modernisierung und Instandhaltung des eigenen Bestands an Häusern und Mietwohnungen, errichtete und veräußerte die als GmbH organisierte städtische Wohnungsbaugesellschaft bereits vor dem 01.01.2006 Eigentumswohnungen in einem nicht zu vernachlässigenden Umfang. In dieser Bauträgertätigkeit sahen die privaten Bauunternehmer einen Verstoß gegen § 102 Abs. 1 Nr. 3 GemO BW.

Nach dieser Vorschrift kann eine Gemeinde ein wirtschaftliches Unternehmen nur errichten, übernehmen, wesentlich erweitern oder sich daran beteiligen, wenn bei einem Tätigwerden außerhalb der kommunalen Daseinsvorsorge der Zweck nicht ebenso gut und wirtschaftlich durch einen privaten Anbieter erfüllt wird oder erfüllt werden kann. Das Verwaltungsgericht Stuttgart wies die Klage ab, sodass die Kläger Berufung vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einlegten.

 

Entscheidung 

Der VGH Baden-Württemberg wies die Berufung zurück. Der Tatbestand des § 102 Abs. 1 Nr. 3 GemO BW sei nicht erfüllt. Diese sog. verschärfte Subsidiaritätsklausel ist mit dem Gesetz zur Änderung des Gemeindewirtschaftsrechts (GBl. S. 705) am 01.01.2006 in Kraft getreten. Eine Rückwirkung der Regelung auf den Zeitpunkt vor dem 01.01.2006 sieht die Klausel nicht vor. Nach Ansicht des VGH Baden-Württemberg müsse bei der rechtlichen Beurteilung daher auf den Stichtag 01.01.2006 abgestellt werden.

Damit können die Tatbestandsmerkmale des Errichtens, Übernehmens oder des Sich Beteiligens an einem Unternehmen gemäß § 102 Abs. 1 GemO BW nicht erfüllt werden, wenn die Gemeinde bereits vor dem 01.01.2006 an dem streitgegenständlichen Unternehmen beteiligt ist. In einem solchen Fall könne der Tatbestand des § 102 Abs. 1 GemO BW nur erfüllt sein, wenn die Gemeinde das Unternehmen nach dem 31.12.2005 wesentlich erweitert hat. Der Begriff der wesentlichen Erweiterung sei nach dem VGH Baden-Württemberg – jedenfalls bei einer GmbH – in Anlehnung an § 103a Nr. 2 GemO BW als die Übernahme neuer Aufgaben von besonderer Bedeutung im Rahmen des Unternehmensgegenstandes zu verstehen.

Eine neue Aufgabe von besonderer Bedeutung nach § 103a Nr. 2 GemO BW sei nicht gegeben, wenn eine GmbH nach dem 31.12.2005 eine Aufgabe wahrnimmt, die sie schon vorher in einem nicht zu vernachlässigenden Umfang wahrgenommen hat. Dies gelte auch, wenn diese Aufgabe nach dem 31.12.2015 in größerem Umfang als zuvor wahrgenommen wird, wenn sich durch die Ausweitung dieser Tätigkeit der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft nicht verändert habe. Ist der Tatbestand des § 102 Abs. 1 GemO nicht erfüllt, bestehe für ein am 01.01.2006 bereits existierendes wirtschaftliches Unternehmen einer Gemeinde nach Ansicht des VGH Baden-Württemberg Bestandsschutz.

Vorliegend habe sich der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft nach dem 31.12.2005 nicht verändert. Insbesondere habe sie die Errichtung und die Veräußerung von Eigentumswohnungen schon vor dem 01.01.2006 in einem nicht zu vernachlässigenden Umfang wahrgenommen, sodass der Tatbestand des § 102 Abs. 1 Nr. 3 GemO BW nicht erfüllt sei und der städtischen Wohnungsbaugesellschaft als Bauträgern folglich ein Bestandsschutz zukomme.

 

Sebastian Tempel
Rechtsanwalt

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