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Urteil des BGH: Öffentliche Insolvenzbekanntmachung schließt schuldbefreiende Leistung an den Schuldner nicht aus

Mit Urteil vom 15.04.2010 – IX ZR 62/09 entschied der BGH, dass trotz öffentlicher Bekanntmachung der Insolvenzeröffnung eine Berufung auf die Unkenntnis der Insolvenzeröffnung und damit eine schuldbefreiende Leistung an Schuldner möglich ist.

Zum Sachverhalt:

Die Insolvenzschuldnerin kündigte nach der im Internet öffentlich bekannt gemachten Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre Lebensversicherung. Das Versicherungsunternehmen (Beklagte) zahlte den Rückkaufswert an die Schuldnerin aus. Der Insolvenzverwalter (Kläger) erfuhr davon erst später und konnte den Rückkaufswert von der Schuldnerin nicht mehr erlangen. Er forderte den Beklagten zur abermaligen Leistung des Rückkaufswertes auf. Der Beklagte verweigerte die Leistung mit der Begründung, er habe von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nichts gewusst. Der BGH gab dem Beklagten recht.

Zur Entscheidung:

Nachdem das beklagte Versicherungsunternehmen nachgewiesen hatte, dass die Insolvenz der Schuldnerin zum Zeitpunkt der Auszahlung nicht bekannt gewesen ist, hat sich der BGH mit der Frage beschäftig, inwieweit im Rahmen der Organisation des Geschäfts Maßnahmen ergriffen werden müssen, um vor einer Auszahlung zu prüfen, ob der Zahlungsempfänger insolvent sei. Der BGH sieht in der Möglichkeit des Zugriffs auf einen vorhandenen Internetanschluss und damit die Möglichkeit der Abfrage von Insolvenzveröffentlichungen keine zumutbare Obliegenheit, zumal eine Einzelfallabfrage, einen hohen Zeit- und Personalaufwand erfordere. Den Beklagten treffe keine Informationsbeschaffungspflicht.

Praxistipp:

Mit dieser Entscheidung stellt der BGH zwar klar, dass nicht vor jeder Auszahlung einer berechtigten Forderung (z.B. Betriebskostenguthaben, Auseinandersetzungsguthaben) mittels Bekanntmachungsabfrage geprüft werden muss, ob der Empfänger insolvent ist. Dennoch ist man in Zweifelsfällen (z.B. wenn bereits ein außergerichtlicher Schuldenbereinigungsversuch erfolgte) gut beraten, sicherheitshalber eine solche Abfrage durchzuführen, da man als Auszahlender im Streitfalle dafür darlegungs- und beweisbelastet ist, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht bekannt war. Die gesetzliche Vermutung des § 82 Satz 2 InsO, dass die Insolvenzeröffnung nicht bekannt war, steht einem als leistender Schuldner nur in den Fällen zur Seite, in denen die Leistung vor Bekanntmachung der Eröffnung erfolgt.

Jacqueline Köppen
Rechtsanwältin