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Kinderlärm ist Zukunftsmusik – aber nicht grenzenlos

Der BGH hat im Urteil vom 22.08.2017 zu Az. VIII ZR 226/16 zu den Grenzen hinzunehmenden Kinderlärms in Mehrfamilienwohnhäusern Stellung genommen.

1. Hintergrund

Lärm kann eine zur Mietminderung oder gar Kündigung berechtigende Gebrauchsbeeinträchtigung darstellen. Weil aber der Gesetzgeber in die Immissionsschutzgesetze Regelungen aufgenommen hat, wonach der von Kindern ausgehende Lärm keine schädliche Umwelteinwirkung darstelle (relevant für die Genehmigung von Kindertagesstätten und Spielanlagen), schlussfolgerten bereits zahlreiche Gerichte und auch mietende Eltern, Kinderlärm sei grundsätzlich von jedermann in jeder Intensität hinzunehmen. Darauf deutete auch die Entscheidung des BGH vom 29.04.2015 zu Az. VIII ZR 197/14 hin, die die entsprechende Anwendbarkeit von § 22 Abs. 1 a BImSchG auf Fälle des Mietmängelrechts ausdrücklich befürwortete.

2. Der Fall

Dem Urteil vom 22.08.2017 lag nun ein Fall zugrunde, in dem eine Mieterin über Jahre hinweg Lärm durch tobende, heftig stampfende und schreiende Kinder sowie auch lautstark mit den Kindern streitende Eltern ausgesetzt war – und zwar fast täglich, auch an Wochenenden und Feiertagen und in Ruhezeiten, mehrmals am Tag und in der Regel zwischen einer und vier Stunden, wobei zum Teil das Geschirr vibrierte und die Türen wackelten.

Die Mieterin führte auch Zeugenbeweis und sogar Lärmprotokolle, nur nicht durchgehend für jeden Vorfall. Sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht Berlin hielten jedoch die Ruhestörungen für zumutbar und zudem nicht konkret genug mangels durchgängiger Lärmprotokolle.

3. Die Entscheidung

Dem ist der BGH erfreulich und überraschend deutlich entgegengetreten. Zwar gelten in einem Mehrfamilienhaus gelegentliche Lärmbeeinträchtigungen zu Recht als sozial adäquat, auch üblicher Kinderlärm. Daher seien Geräusche durch Kinder aufgrund altersgerechten kindlichen Verhaltens grundsätzlich hinzunehmen, auch wenn dabei Lärmgrenzwerte überschritten werden. Toleranz habe dennoch ihre Grenzen, die im Einzelfall unter Berücksichtigung des Alters, der Art, Qualität und Dauer des Lärms, des Gesundheitszustandes des Kindes und der Vermeidbarkeit durch erzieherische oder bauliche Maßnahmen zu bestimmen seien.

Im Fall habe der Lärm eine „bemerkenswerte Frequenz und Dauer“ erreicht, was nicht mehr Ausdruck des natürlichen Bewegungsdrangs sei.

Der Vorlage von Lärmprotokollen bedürfe es für die Geltendmachung von Minderungsrechten nicht, darauf hatte der BGH bereits am 29.02.2012 unter Az. VIII ZR 155/11 (zu Lärm durch Ferienwohnungsgäste) hingewiesen, es genüge die Beschreibung zu Art, ungefähren Tageszeiten, Zeitdauer und Frequenz.

Der BGH hat den Fall an die Vorinstanz zurückverwiesen, um dem angebotenen Zeugenbeweis nunmehr nachzugehen und ggf. eine Hellhörigkeit des Hauses in baulicher Hinsicht zu prüfen.

4. Praxishinweis

Hinsichtlich der baulichen Beschaffenheit gelten die baurechtlichen Normen aus der Zeit der Errichtung des Gebäudes. Wurde später umgebaut oder modernisiert mit Eingriffen in für den Trittschall relevante Konstruktionen, gelten die Normen aus der Zeit des Umbaus, so die derzeit herrschende Rechtsprechung.

Lärmprotokolle können vom Mieter nicht verlangt werden, wenn dieser in anderer Form die Beeinträchtigung konkret genug umschreibt und es sich um nachhaltige, wiederkehrende Lärmstörungen handelt. Dennoch erweisen sich diese Lärmprotokolle als ausgesprochen nützlich. Einerseits decken die taggenauen Angaben mitunter auf, dass die angeblichen Störer an diesem Tag gar nicht zu Hause waren, so dass die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers in Frage gestellt werden kann. Andererseits, wenn tatsächlich Störungen vorhanden sind, bieten die Lärmprotokolle für den Beschwerdeführer später eine wertvolle Erinnerungshilfe, wenn er – meist nach vielen Monaten – dazu vor Gericht befragt wird. In dieser Hinsicht sollte weiter argumentiert werden.

Die Empfehlung bei Lärmanzeigen lautet daher:

1. Konkrete Störungsmitteilung anfordern – Lärmprotokoll empfehlen;

2. angeblichen Störer mit den konkreten Vorhaltungen konfrontieren;

3. bei Bestreiten andere Hausbewohner befragen;

4. bei Nachweis oder sehr hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlicher Störungen Abmahnung mit Zugangsnachweis aussprechen mit konkreten Tatvorwürfen – ein Muster finden Sie im Servicebereich;

5. bei Nachweis oder sehr hoher Wahrscheinlichkeit neuer vergleichbarer Störungen nach Zugang der Abmahnung Kündigung mit Zugangsnachweis aussprechen mit konkreten Tatvorwürfen – ein Muster finden Sie im Servicebereich.

Noreen Walther

Rechtsanwältin

Aktuelle Information Nr. 39/2017

Rechtsanwälte Strunz ♦ Alter, Chemnitz