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HOAI in der aktuellen Rechtsprechung

Nachdem der europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 04.07.2019 – Rs. C-377/17 die Vorgaben in der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) zu den Mindest- und Höchstsätzen für unwirksam erklärt hat, wirkt sich diese Entscheidung jetzt in den ersten Urteilen deutscher Gerichte aus. In einem Urteil vom 17.07.2019 hat sich das Oberlandesgericht Celle (14 U 188/18) mit den Auswirkungen des EuGH Urteils auf den Honoraranspruch eines Architekten auseinandergesetzt.

 

Sachverhalt:

Die Klägerin machte in dem Verfahren Honorarforderungen aus mehreren Ingenieurverträgen aus den Jahren 2010 – 2014 geltend. Die streitgegenständlichen Verträge sind allesamt vollständig abgewickelt, einschließlich Schlussrechnungsstellung und -bezahlung in den Jahren 2011 – 2015. In den Jahren 2016 und 2017 legte die Klägerin neue Schlussrechnungen mit der Begründung, sämtliche Verträge seien entgegen ihrem Wortlaut unter Mindestsatzunterschreitung der HOAI in der jeweils anwendbaren Fassung pauschal abgerechnet worden. Mit der Klage macht die Klägerin die Differenz zwischen dem vereinbarten geringeren Honorar und dem Mindestsatz nach auch die geltend.

 

Entscheidung:

Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 04.07.2019 in dem Vertragsverletzungsverfahren C-377/17 ist die Verbindlichkeit des HOAI-Preisrechts hinfällig geworden. Die Mindest- und Höchstsätze der HOAI sind europarechtswidrig. Wegen des Anwendungsvorbehaltes des Europarechts sind die Gerichte verpflichtet, die für europarechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI nicht mehr anzuwenden (vgl. auch Stellungnahme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 04.07.2019,
Az. 1 B6-20614/001). Die Entscheidung des EuGH C-377/17 ist auch in laufenden Verfahren umzusetzen. Da der EuGH für alle Mitgliedstaaten verbindlich das Recht der Europäischen Union auslegt, gilt eine davon betroffene Norm nur nach Maßgabe des Rechts der Europäischen Union, so wie sie durch die im EuGH-Urteil verkündete Auslegung zu verstehen ist, in allen Mitgliedstaaten. Diese für die nationalen Gerichte bindende Auslegung des EU-Rechts wirkt sich auf bestehende Vertragsverhältnisse aus, wenn dort – wie vorliegend – in Abweichung des vereinbarten Honorars unter Bezug auf den HOAI-Preisrahmen ein Honorar in diesem Rahmen durchgesetzt werden soll.

Demnach sind Honorarvereinbarungen nicht deshalb unwirksam, weil sie die Mindestsätze der HOAI unterschreiten oder deren Höchstsätze überschreiten. Infolge der EuGH-Entscheidung vom 04.07.2019 ist es von Rechts wegen nicht mehr zulässig, getroffene Honorarvereinbarungen an den Mindest- und Höchstsätzen der HOAI zu messen. Honorarvereinbarungen, die das Preisrecht der HOAI ignorieren, sind daher unter diesem Gesichtspunkt nicht mehr unzulässig.

Damit ist der von der Klägerin behauptete Verstoß gegen das Preisrecht der HOAI in Form einer Mindest-satzunterschreitung obsolet geworden. Die Parteien durften daher ein Pauschalhonorar grundsätzlich auch unterhalb der europarechtswidrigen Mindestsätze der HOAI vereinbaren.

 

Praxishinweise:

Mit dem vorliegenden Urteil ist erstmals von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgewichen worden, die in der Regel dem Architekten eine Nachberechnung bis zu den Mindestsätzen der HOAI abweichend von einer vereinbarten geringeren Pauschalsumme zugestanden hat.

Die Entscheidung ist insoweit bemerkenswert, als die HOAI nicht außer Kraft gesetzt ist.

Auf der Grundlage der vorliegenden Entscheidung kann demnach eine Mindestsatzunterschreitung nunmehr vereinbart werden und ein Architekt sich nicht vereinbarungswidrig auf die höheren Mindestsätze bei der Schlussrechnungslegung berufen.

Zu beachten ist jedoch, dass auch das OLG Celle davon ausgeht, dass getroffene Honorarvereinbarungen auf der Grundlage der HOAI dennoch Bestand haben.

Beim Abschluss neuer Architektenverträge können unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung die erweiterten Spielräume bei Honorarverhandlungen genutzt werden.

 

Martin Alter
Rechtsanwalt

Aktuelle Information Nr. 29/2019

Rechtsanwälte Strunz ♦ Alter, Chemnitz