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Unterschiedliches Prozessverhalten einzelner beklagter Wohnungseigentümer im Anfechtungsprozess

Der BGH vertritt im Urteil vom 23.10.2015 die Auffassung, dass ein Eigentümer, für den ein anderer Eigentümer in erster Instanz ein Anerkenntnis im Rahmen einer Beschlussanfechtung erklärt hat, in späteren mündlichen Verhandlungen widerrufen kann, wenn er ihn dazu nicht ausdrücklich ermächtigt, sich aber auch nicht dagegen verteidigt hatte.

Hintergrund:

Erhebt ein Eigentümer eine Beschlussanfechtungsklage, richtet sich diese nach § 43 WEG gegen die übrigen Wohnungs- bzw. Teileigentümer. Die beklagten Eigentümer bilden sog. notwendige Streitgenossen.

Für diese bestimmt § 62 Zivilprozessordnung (ZPO):

(1) Kann das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden oder ist die Streitgenossenschaft aus einem sonstigen Grund eine notwendige, so werden, wenn ein Termin oder eine Frist nur von einzelnen Streitgenossen versäumt wird, die säumigen Streitgenossen als durch die nicht säumigen vertreten angesehen.

(2) Die säumigen Streitgenossen sind auch in dem späteren Verfahren zuzuziehen.

Das bedeutet: Verteidigt sich ein Eigentümer nicht gegen die Klage oder erscheint er nicht im Verhandlungstermin, wird er automatisch, d.h. kraft Gesetzes, durch die oder den anderen beklagten Eigentümer, die sich verteidigen, vertreten. Somit ist ausgeschlossen, dass in ein und derselben Sache sowohl ein stattgebendes Versäumnisurteil (Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse) als auch zugunsten der sich verteidigenden Eigentümer ein klageabweisendes Urteil ergeht.

Dem Urteil des BGH vom 23.10.2015, Az. V ZR 76/14, lag nun folgender Sachverhalt zugrunde:

Ein Eigentümer (hier: „K“) erhob Anfechtungsklage gegen die übrigen Eigentümer, für die der Verwalter eine gemeinsame Verteidigung mittels Rechtsanwalt organisierte. Zwei beklagte Eigentümer (hier genannt „B 2“ und „B 3“) widersprachen ihrer Vertretung durch diesen Anwalt. In der mündlichen Verhandlung erklärte B 2, er erkenne die Anfechtungsklage an, B1 und der Anwalt stellten keine Anträge, galten also als „säumig“ (nicht anwesend). Gegen sie erging wegen § 62 ZPO kein Versäumnisurteil sondern das Gericht erließ ein einheitliches Anerkenntnisurteil für sämtliche Beklagte. Damit war der Rechtsstreit 1. Instanz am Amtsgericht beendet.

                                  

Die Beklagten B 1 und B 3 legten erfolglos Berufung ein, die Beklagten B 1 verfolgten ihr Ziel in der Revisionsinstanz vor dem BGH erfolgreich weiter.

Der BGH wiederholte zunächst, dass der Verwalter kraft Gesetzes befugt ist, die Verteidigung der übrigen beklagten Eigentümer bei Eingang einer Beschlussanfechtungsklage einschließlich Mandatierung eines gemeinsamen Rechtsanwaltes zu organisieren (so schon BGH 05.07.2013, Az. V ZR 241/12). Jeder Beklagte habe jedoch das Recht, dieser gemeinsamen Vertretung für sich zu widersprechen und sich selbst zu verteidigen. Der gemeinsame Rechtsanwalt vertritt diesen widersprechenden Eigentümer dann nicht (mehr).

Da es sich bei den Beklagten um notwendige Streitgenossen handele, sei das Anerkenntnisurteil auch zu Recht einheitlich gegen alle Beklagten ergangen, denn die säumigen  galten als durch den antragstellenden Eigentümer vertreten. Dabei sei es irrelevant, ob der Antrag des B 2 für B 1 und
B 3 günstig war oder nicht.

Von diesem Prozessverhalten könnten sich die so vertretenen B 1 und B 3 jedoch in Tatsacheninstanzen wieder lösen, solange es noch nicht zu einer unanfechtbaren Endentscheidung gekommen ist. Sie konnten somit – in der Berufungsinstanz – das für sie abgegebene Anerkenntnis widerrufen.

Grundsätzlich gelten Prozesshandlungen als unwiderruflich. Der BGH vertritt jedoch (in teleologischer Reduktion) die Ansicht, § 62 ZPO bezwecke keine Bestrafung und deshalb sei es legitim, dem Säumigen eine Loslösung zu gestatten. Da eine einheitliche Entscheidung noch ergehen könne, sei eine weitere Bindung nicht erforderlich.

Die Entscheidung verdeutlich einmal mehr die komplexe und schwierige Rechtslage in Wohnungseigentumsstreitigkeiten und fordert wohl auch den Verwalter, die Eigentümer entsprechend zu belehren. Im Einzelnen gibt es jedoch weiterhin viele streitige Rechtsfragen.

Noreen Walther

Rechtsanwältin

Aktuelle Information Nr. 24/2016

Rechtsanwälte Strunz ♦ Alter, Chemnitz